Munchmuseet, MM K 2437
MM K 2437, Munchmuseet. Datert 05.03.1932. Brev fra Eberhard Grisebach.
Forklaring av tegn og farger i visningen
NB: Kombinasjoner av virkemidlene forekommer!
Munchs skrevne tekst
overstrøket tekst
Munchs skrevne tekst
Munchs skrevne tekst
tekst skrevet av andre enn EM selv
store strykninger gjort med strek, kryss el.l.
fet tekst er trykt tekst
{overskrevet tekst}
\tilføyd tekst i linjen/
tilføyd tekst over linjen
tilføyd tekst under linjen
lakune/uleselig tekst merkes med ...
‹uklar/vanskelig leselig tekst›
endring av rekkefølgen på ord
Billederne forhåbentlig2 bliver1 god
Davos-Platz, den 5. März 1932
Villa Fontana
Villa Fontana
Lieber Herr Munch,
In der letzten Woche bin ich zweimal Wegen Ihrer Ausstellung
im Züricher Kunsthaus gewesen. Beim Beschauen Ihrer Blätter und Bilder
habe ich an unser erstes Zusammentreffen in Warnemünde im Jahre 1908
lebhaft zurückdenken müssen. Heute wie damals liess ich mich dankbar
von Ihrer Kunst in die sinnliche Welt einführen und mir erzählen, was
Sie dabei gedacht und empfunden haben. Da ich Ihnen diesmal nicht mei-
ne Eindrücke mündlich erzu\ä/hlen kann, so benutze ich die Ferientage in
Davos. Ihnen schriftlich einiges davon zu berichten.
Zunächst muss ich eine kurze Bemerkung voranshicken, um Ih-
nen zu erklären, wie ich nach Zürich kam und zum regelmässigen Besu-
cher des dortigen Kunsthauses wurde. Nachdem ich fast 18 Jahre in Je-
na gearbeitet und Philosophie gelehrt habe, erhielt ich im letzten
Sommer im Juli einen Ruf an die Universität Basel, wenige Tage darauf
an die Universität Zürich als ordentlicher Professor der Psychologie,
Pädagogik und Philosophie. Da man in Deutschland zögerte, mir einen
ordentlichen Lehrstuhl zu geben, ich gehörte keiner Partei an, die
die Macht hatte, so wählte ich Zürich als neue Heimat aus, das mir
von jeher als Freistatt des Geistes und als schönste Stadt Europas
erschienen war. Am 1.Oktober bezogen wir eine Wohnung oben am Zürich-
berg. Ihre vier Oelbilder hing ich dort neben Hodler, Amiet, und Kirch-
ner an hellgestrichenen Wänden auf. Ein Semester habe ich nun in Zü-
rich die nachdenklichen Studenten zu leiten versucht und sie zum
Schluss auch vor Ihre Bilder geführt. Dr. Wartmann erzählte mir von
seinem Besuch in Skoien. Ich lud ihn ein, sich meine Bilder anzusehen.
Es freute mich zu hören, dass Sie im Herbst selbst nach Zürich kommen
wollen. So hoffe ich auf ein baldiges wiedersehen.
Da ich nun seit über 20 Jahren mit Ihrer Kunst zusammenleben
durfte und mein Auge jeder Absicht Ihres Pinsels und Ihrer Seele nach-
zugehen versuchte, so fühlte ich mich sofort in Ihrer Ausstellung be-
heimatet, freundschaftlich angesprochen und geistig beschäftigt. Sie
–2–
leben mit Ihrem Auge in einer beständigen Auseinandersetzung mit der
sichtbaren Welt. Was Sie dort er-innern und als Erinnerung wiedegeben,
trägt notwendig alle Spuren Ihres Lebens. Ihre Welt bleibt im Wandel,
wie alles geistiges Leben im Fluss sich befindet. Diesem gab ich mich
gern hin. Was mir von jeher so sympathisch und vorbildlich war, ist
Ihr Bauen mit den Elementen der Form und der Farbe, der Linie und des
Raums. In dem ausgebauten Raum Ihrer Bilder sind Sie selbst allemal
ganz wohnhaft. Jeder Baum, jede Gestalt, jede Bewegung verrät die
Schwingung Ihrer Empfindung, die als Respekt vor der rätselhaften
Welt sich ausdrücken lässt. In jüngeren Jahren war es die Angst der
Kreatur, die man vor jedem Bilde verspürte, jetzt ist es ein männli-
ches Zutrauen zum Kosmos. Erschreckend bleiben nur noch die Menschen
mit ihren Leidenschaften, in ihnen sehen wir wohl uns selbst; aber die
Tiere, die alten Bäume, die Wellen des Meeres, die Stadt im Frühling
und Winter, sie geben Ihnen Anlass zu immer neuer gelassener Gestaltung,
die nie ans Ende kommt, aber eine Sehnsucht nach Harmonie erkennen
lässt. Die Sorgfalt in der Berechnung der Mittel zeigen vor allem die
letzten Bilder„Frühjahr und Winter in Kragerö”. Das„Rote Haus” ist
eine klassische Leistung, völlig ausgewogen und besonders im Räumli-
chen unheimlich klar empfunden. „Fräulein Brigitte” gilt mir als Bild-
nis dieser Landschaft gleichwertig. Die feine Psychologie ist allein
schon durch die Farbe ausgedrückt. Die Zeichnung verrät die Bitter-
keiten des Lebens.
Man spürt es heute wie damals allen Bildern an, dass die
sinnlichen Eindrücke der Welt zum Leiden führten und dass die Kunst
ein Kreuztragen für Sie bedeutet. Aber mit den Jahren wuchs die h\g/ei-
stige Kraft zur Ueberwindung der Subjektivität. Die Wipfel der Bäume
stützten Ihren Willen und die Wolken betteten Ihre Gedanken ein, so-
dass eine komische Harmonie sich einstellte, die besonders das
Selbstbildnis von 1925 verrät. Die Geduld, welche im Selbstbildnis
mit Vollbart (Lithographie) zum Ausdruck kommt, hat mich besonders
ergriffen. Mit einer zunehmenden Objektivität hat sich der Wert Ih-
rer Kunst gesteigert.
Im Einzelnen bin ich nach diesen Ueberlegungen Ihren maleri-
leben mit Ihrem Auge in einer beständigen Auseinandersetzung mit der
sichtbaren Welt. Was Sie dort er-innern und als Erinnerung wiedegeben,
trägt notwendig alle Spuren Ihres Lebens. Ihre Welt bleibt im Wandel,
wie alles geistiges Leben im Fluss sich befindet. Diesem gab ich mich
gern hin. Was mir von jeher so sympathisch und vorbildlich war, ist
Ihr Bauen mit den Elementen der Form und der Farbe, der Linie und des
Raums. In dem ausgebauten Raum Ihrer Bilder sind Sie selbst allemal
ganz wohnhaft. Jeder Baum, jede Gestalt, jede Bewegung verrät die
Schwingung Ihrer Empfindung, die als Respekt vor der rätselhaften
Welt sich ausdrücken lässt. In jüngeren Jahren war es die Angst der
Kreatur, die man vor jedem Bilde verspürte, jetzt ist es ein männli-
ches Zutrauen zum Kosmos. Erschreckend bleiben nur noch die Menschen
mit ihren Leidenschaften, in ihnen sehen wir wohl uns selbst; aber die
Tiere, die alten Bäume, die Wellen des Meeres, die Stadt im Frühling
und Winter, sie geben Ihnen Anlass zu immer neuer gelassener Gestaltung,
die nie ans Ende kommt, aber eine Sehnsucht nach Harmonie erkennen
lässt. Die Sorgfalt in der Berechnung der Mittel zeigen vor allem die
letzten Bilder„Frühjahr und Winter in Kragerö”. Das„Rote Haus” ist
eine klassische Leistung, völlig ausgewogen und besonders im Räumli-
chen unheimlich klar empfunden. „Fräulein Brigitte” gilt mir als Bild-
nis dieser Landschaft gleichwertig. Die feine Psychologie ist allein
schon durch die Farbe ausgedrückt. Die Zeichnung verrät die Bitter-
keiten des Lebens.
Man spürt es heute wie damals allen Bildern an, dass die
sinnlichen Eindrücke der Welt zum Leiden führten und dass die Kunst
ein Kreuztragen für Sie bedeutet. Aber mit den Jahren wuchs die h\g/ei-
stige Kraft zur Ueberwindung der Subjektivität. Die Wipfel der Bäume
stützten Ihren Willen und die Wolken betteten Ihre Gedanken ein, so-
dass eine komische Harmonie sich einstellte, die besonders das
Selbstbildnis von 1925 verrät. Die Geduld, welche im Selbstbildnis
mit Vollbart (Lithographie) zum Ausdruck kommt, hat mich besonders
ergriffen. Mit einer zunehmenden Objektivität hat sich der Wert Ih-
rer Kunst gesteigert.
Im Einzelnen bin ich nach diesen Ueberlegungen Ihren maleri-
–3–
schen Bemühungen mit den Augen nachgegangen. Ich habe mit Freude beob-
achtet, wie die Simplizität des Ausdrucks sich von Bild zu Bild stei-
gert. Die nachhaltige Wirkung Ihrer Bilder ist erst zu spüren, wenn
man beim eigenen Anschauen der Welt Ihrem Stil und Ihrer Erinnerungs-
weise verfällt. So habe ich eben auf meinem Abendspaziergang im Hoch-
gebirge die Landschaft, die Felsen, die Pferde und Menschen mit Ihren
Augen gesehen, sodass ich dankbar auch dieser schönen Ausstellung in
Zürich gedachte. Manches alte Bild wiederzusehen, machte mir besonde-
re Freude. Man kann dann feststellen, wie sehr die Bilder im Gedächt-
nis sich hielten. „Die „Wäsche” erlebte ich noch einmal, wie das Wieder-
sehen mit einem alten Freunde. Wenn ich zum Schluss auswählen sollte,
so würde ich die „Pferde”, Nr.19, und „Sommer an der Küste” Nr.15,
auswählen, da hier die Materie völlig vergeistigt zu sein scheint.
Mein eigener Lebensberuf hat mich von der sinnlichen Welt im-
mer mehr abgeführt. Aber immer kehre ich unter der Leitung eines
Künstlerfreundes gern zu ihr zurück, wohl fühlend, dass jede Kunst
in den Mittelpunkt des Menschlichen und Kosmischen führt, aus welchen
auch wir Denker unseren \Aufgaben/ und Rätsel entnehmen. Wenn Sie im Sommer oder
Herbst einmal nach Zürich kommen, so müssen wir einmal wieder in Ruhe
zusammen plaudern. Sie werden in Zürich viele verständige Freunde Ih-
rer Kunst finden. Schade nur, dass sie Not der Zeit alle bürgerlichen
Lebensräume heute beunruhigt, sodass bals niemand mehr wagen kann,
sie mit Kunst zu schmücken. Angesichts der allgemeinen Not kommt man
sich fast wie ein Prasser vor, wenn man noch Gemälde an seinen Wänden
hängen hat. Ich danke meinen Bildern und nicht zum wenigsten den Ih-
rem die schönsten Freuden meines Lebens.
Mit freundschaftlichen Grüssen und Wünschen für Ihre Gesund-
heit bleibe ich
Ihr stets ergebener
E. Grisebach
schen Bemühungen mit den Augen nachgegangen. Ich habe mit Freude beob-
achtet, wie die Simplizität des Ausdrucks sich von Bild zu Bild stei-
gert. Die nachhaltige Wirkung Ihrer Bilder ist erst zu spüren, wenn
man beim eigenen Anschauen der Welt Ihrem Stil und Ihrer Erinnerungs-
weise verfällt. So habe ich eben auf meinem Abendspaziergang im Hoch-
gebirge die Landschaft, die Felsen, die Pferde und Menschen mit Ihren
Augen gesehen, sodass ich dankbar auch dieser schönen Ausstellung in
Zürich gedachte. Manches alte Bild wiederzusehen, machte mir besonde-
re Freude. Man kann dann feststellen, wie sehr die Bilder im Gedächt-
nis sich hielten. „Die „Wäsche” erlebte ich noch einmal, wie das Wieder-
sehen mit einem alten Freunde. Wenn ich zum Schluss auswählen sollte,
so würde ich die „Pferde”, Nr.19, und „Sommer an der Küste” Nr.15,
auswählen, da hier die Materie völlig vergeistigt zu sein scheint.
Mein eigener Lebensberuf hat mich von der sinnlichen Welt im-
mer mehr abgeführt. Aber immer kehre ich unter der Leitung eines
Künstlerfreundes gern zu ihr zurück, wohl fühlend, dass jede Kunst
in den Mittelpunkt des Menschlichen und Kosmischen führt, aus welchen
auch wir Denker unseren \Aufgaben/ und Rätsel entnehmen. Wenn Sie im Sommer oder
Herbst einmal nach Zürich kommen, so müssen wir einmal wieder in Ruhe
zusammen plaudern. Sie werden in Zürich viele verständige Freunde Ih-
rer Kunst finden. Schade nur, dass sie Not der Zeit alle bürgerlichen
Lebensräume heute beunruhigt, sodass bals niemand mehr wagen kann,
sie mit Kunst zu schmücken. Angesichts der allgemeinen Not kommt man
sich fast wie ein Prasser vor, wenn man noch Gemälde an seinen Wänden
hängen hat. Ich danke meinen Bildern und nicht zum wenigsten den Ih-
rem die schönsten Freuden meines Lebens.
Mit freundschaftlichen Grüssen und Wünschen für Ihre Gesund-
heit bleibe ich
Ihr stets ergebener
E. Grisebach